Unterschätzt das Nettoäquivalenzeinkommen Kinderarmut?

Die Armut von Familien wird unterschätzt, die von Alleinstehenden dagegen zu hoch angesetzt. Das legt zumindest eine Betrachtung der Zahlungen der Jobcenter nahe.

Armut ist ein großes Thema, spätestens seit die Armutsquoten in der ersten Hälfte der Nuller-Jahre auf eine neue Rekordhöhe seit den 1970er Jahren gestiegen sind.

Doch wie aussagekräftig sind dies Quoten wirklich? Um Alleinstehende mit Familien vergleichen zu können werden die Einkommen aufgrund von Äquivalenzskalen umgerechnet. Dieses Nettoäquivalenzeinkommen soll berücksichtigen, dass ein Haushalt mit vier Personen mehr Geld braucht als einer mit einer Person, allerdings nicht viermal so viel. Statistiker-Blog-Leser wissen es längst, für jeden weiteren Erwachsenen unterstellt man einen zusätzlichen Bedarf von 50 Prozent, für jedes Kind einen von 30 Prozent.

Ähnliche Probleme für das Jobcenter

Vor ähnlichen Problemen stehen die Jobcenter. Bei der sogenannten Regelleistung steigt der Bedarf für einen zweiten Erwachsenen um 80 Prozent, für ein Kind um 60 bis 80 Prozent und somit deutlich stärker als bei den Armutsforschern. Allerdings ist dabei die Miete noch nicht berücksichtigt. Die tatsächlichen Bedarfe einschließlich Miete findet man bei der Statistik der Bundesagentur für Arbeit.

Nettoäquivalenzskalen zu niedrig
Vergleich von Bedarfen im SGB II (rot) und in der Armutsforschung (grau) nach Haushaltsart. Quelle: Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnung

Die Bedarfe der Bundesagentur für Arbeit geben an, wie viel Geld eine Person oder eine Familie erhalten würde, wenn sie keinerlei Einkommen hat und nicht sanktioniert wird.

Um mich der Fragestellung zu nähern habe ich einmal Alleinstehende und Alleinerziehende mit Paaren mit jeweils gleicher Kinderzahl verglichen. Ein kinderloses Paar bekommt durchschnittlich 50,8 Prozent mehr als ein Single.

Vergleich auf Basis der SGB II-Bedarfe

Beim Vergleich von Alleinerziehenden mit Paaren gleicher Kinderzahl bekommen die Paare 51,1 (ein Kind) beziehungsweise 53,3 Prozent (zwei Kinder) des Bedarfes eines Alleinstehenden mehr. Bei drei Kindern springt die Differenz auf 58,4 Prozent, allerdings gibt es nur rund 50.000 Alleinerziehende mit drei Kindern, was die Zahl anfällig für zufällige Verzerrungen macht. Unterm Strich ist der von der Wissenschaft angenommene Zusatzbedarf von 50 Prozent eines Alleinstehenden nicht so schlecht.

Jobcenter bei Kindern deutlich großzügiger als Wissenschaft

Anders bei Kindern. Ich habe dazu kinderlose mit Familien mit einem Kind, Familien mit einem mit Familien mit zwei und Familien mit zwei mit Familien mit drei Kindern verglichen, jeweils getrennt nach Alleinerziehenden und Paaren.

Zusatzbedarfe auf Basis der SGB II - Statistik
Höchste beziehungsweise niedrigster Bedarf für eine zusätzliche Person in Prozent des Bedarfs eines kinderlosen Alleinstehenden. Quelle: eigene Berechnung auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit

Auffällig: das erste Kind fällt aus dem Rahmen. Dann steigt der Bedarf um 60,2 (Alleinerziehende) beziehungsweis 60,5 Prozent (Paare) dessen, was ein Alleinstehender erhält. Bei den weiteren Kindern liegt der Wert zwischen 41,6 und 46,9 Prozent, also deutlich jenseits der 30 Prozent.

Für Erwachsene deckt sich die Praxis der Jobcenter also mit den Annahmen der Armutsforscher, bei Kindern sind die Behörden deutlich großzügiger als die Wissenschaft. Würden die Maßstäbe des SGB II auch beim Nettoäquivalenzeinkommen angelegt, würde die Kinderarmut deutlich steigen, die von Alleinstehenden dagegen sinken. (siehe Kommentar)

Tagged with: , , , ,

0 Comments on “Unterschätzt das Nettoäquivalenzeinkommen Kinderarmut?

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .