Lassen sich Werte messen?

Neulich bin ich durch Zufall auf eine interessante Erhebung gestoßen. Das finnische Unternehmen Hofstede hat nämlich versucht, in verschiedenen Ländern die Werte der Menschen zu erheben. Im Mittelpunkt stehen dabei jene Ansichten, die für die Arbeitswelt und die Erhebung soll nach Angaben des Unternehmens andere Firmen ermächtigen „interkulturelle und organisationskulturelle Herausforderungen“ zu meistern.

Die sechs von Hofstede gemessenen Faktoren für Deutschland (rot), die Volksrepublik China (hellgrau), Japan (dunkelgrau), die USA (schwarz) und Nigeria (blau).

Die sechs kulturellen Dimensionen nach Hofstede

Insgesamt hat das Unternehmen sechs verschiedene kulturelle Dimensionen gewählt, um die Kultur eines Landes in Bezug auf die Arbeitswelt zu beschreiben, nämlich:

  1. Power Distance: Beschreibt die Distanz zwischen den Mächtigen und dem Rest der Gesellschaft, von mir als Distanz der Mächtigen übersetzt.
  2. Individualism: Dieser Begriff ist weitgehend selbsterklärend. Hofsede ergänzt noch die Feststellung, dass „persönliche Beziehungen […] Vorrang [haben] vor Aufgabe und Unternehmen.“
  3. Masculinity: Dieser Begriff ist etwas verwirrend, denn „Männlichkeit“ beschreibt hier die Frage, ob im Beruf eher auf Erfolg oder auf Selbstverwirklichung Wert gelegt wird. „Die grundlegende Frage hier ist, was Menschen motiviert, der Beste sein zu wollen (männlich) oder zu mögen, was man tut (weiblich)“, erklärt das Unternehmen.
  4. Uncertainty Avoidance: „Sollten wir versuchen, die Zukunft zu kontrollieren oder sie einfach geschehen lassen?“, beschreibt Hofstede die Frage, die hinter dem Punkt „Vermeidung von Unsicherheit“ steht.
  5. Long Term Orientation: Bei der Langfristorientierung geht es um die Frage, wie weit eine Gesellschaft in die Zukunft plant und beispielsweise Menschen für die Zukunft sparen oder Ressourcen schonen. Paradoxerweise bringt das langfristige Bewahren von Traditionen hier einen niedrigen Wert, was damit begründet wird, dass diesen Gesellschaften die Zukunft offenbar nicht wichtig sei.
  6. Indulgence: Auch dieser Name ist zunächst schwer verständlich, denn Indulgence lässt sich mit Nachsicht, aber auch Genuss übersetzen. Hier geht es um die Nachsicht gegenüber eigenen Schwächen, also nicht um die gegenüber anderen Menschen. Hofstede beschreibt auf dieser Dimension das Gegenstück mit Restraint, also Zurückhaltung. Einen hohen Wert haben hier also Länder, in denen Impulskontrolle und Zurückhaltung in der Erziehung keinen sehr hohen Stellenwert besitzen.

Die Seite von Hofstede ist im Original auf Englisch, ich habe die Zitate daher übersetzt.

Wo steht Deutschland?

Ich habe mir diese Daten für die bevölkerungsreichsten Länder der Welt angesehen. Nicht für alle liegen Daten vor, von den Top21 habe ich 16 in meiner Liste. Dass es genau 21 sind liegt daran, dass ich das Vereinigte Königreich als Nummer 21 noch mitnehmen wollte, unter den Top20 ist Deutschland (auf Platz 19) nämlich das einzige westeuropäische Land und das einzige, das komplett in Europa liegt (die Türkei und Russland liegen teilweise in Asien). Aufgenommen habe ich übrigens noch die Republik China auf Taiwan, weil ich deren Werte mit denen der Volksrepublik vergleichen will. Immerhin sind viel Taiwanesen Nachfahren von Festlandschinesen, die nach der Niederlage der Republik gegen die Kommunisten im chinesischen Bürgerkrieg nach Taiwan flüchteten.

Ergebnisse für die 21 bevölkerungsreichsten Länder der Welt und die Republik China auf Taiwan. Für Äthiopien, Ägypten und Nigeria wurden die Werte geschätzt. Im Fall von Äthiopien wurden außerdem keine Daten zur Langfrist-Orientierung veröffentlicht. Für die Demokratische Republik Kongo (ex Zaire), das 15.-größte Land der Welt nach Bevölkerung, liegen keine Daten vor.

Spannend wäre es jetzt, die einzelnen Staaten zu vergleichen. Man könnte eine Korrelationsanalyse machen und schauen, welche Ländern besonders stark korrelieren. In diesem Fall würde sich dafür der Rangkorrelationskoeffizient von Spearman anbieten. Aber um es vorwegzusagen, die Aussagekraft der kommenden Daten ist sehr klein, es ist mehr Spielerei als ernsthafte Statistik. Ich werde gleich noch erklären, warum das so ist.

Egalitär, risikoavers und langfristig

Betrachtet man die Daten für Deutschland, dann fällt auf, dass die Werte in für die Distanz der Mächtigen vom Volk deutlich unter dem Median liegen. Der Median ist der Wert des Landes, das genau in der Mitte liegt. Im Fall der Distanz der Mächtigen ist dieser Wert 70. Das ist der Wert für Äthiopien und Vietnam und etwa genauso viele Werte liegen darunter wie darüber

Deutschland liegt mit 35 nicht nur deutlich unter diesem Wert, sondern hat auch den niedrigsten Wert aller Länder. Hier ist die Distanz der Mächtigen vom gemeinen Volk also besonders gering.

Bild eines Trabant (Fahrzeug)
Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland wurden nicht untersucht.

Bei der Nachsicht gegenüber den eigenen Impulsen liegt Deutschland im Mittelfeld, bei allen anderen über dem Durchschnitt. Das mag teilweise erstaunen, etwa warum in Deutschland Männlichkeit wichtiger sein soll, wo doch Männlichkeit hierzulande so einen schlechten Ruf hat. Aber erinnern wir uns daran, dass hier Männlichkeit einen auf beruflichen Erfolg aufbauenden Ethos meint. Auch bei der Vermeidung von Unsicherheit liegt Deutschland über dem Median, vor allem aber beim Individualismus und der Orientierung am Langfristigen. Beim Individualismus mag das Erstauen, schließlich gelten die Deutschen gegenüber andern Westeuropäern oder den USA als eher kollektivistisch veranlagt. Tatsächlich liegt die Punktezahl mit 67 deutlich niedriger als im Vereinigten Königreich (89) und den USA (91), doch die Mehrzahl der Menschen lebt eben nicht in Westeuropa, sondern in Gegenden, in denen das Kollektiv noch höher steht. Besonders Pakistan, Bangladesch, Indonesien und der Volksrepublik China sind die Werte niedrig.

Wie aussagekräftig sind Korrelationen?

Wie erwähnt habe ich mir auch die Korrelationen der einzelnen Werte und der einzelnen Länder angesehen. Nach der reinen Lehre darf ich nur Rangkorrelationen betrachten. Dabei werden nicht die Werte direkt verglichen, sondern die Ränge. Bei der Distanz der Mächtigen hat Deutschland den niedrigsten Wert und bekommt daher die 1. Beim Individualismus ist es der dritthöchste aller 21 Länder und Deutschland erhält die 19.

Begründet wird das damit, dass bei solchen Rankings die Abstände zwischen den einzelnen Werten nicht immer gleich groß sein müssen. Der zwischen 20 und 40 kann größer sein als der zwischen 40 uns 60, obwohl er immer 20 Punkte beträgt. Das verfälscht das Ergebnis. Man spricht von einer ordinalen Skalierung.

Allerdings halte ich dieses Problem in diesem Fall nicht für sehr gravierend. Daher habe ich auch eine „normale“ Korrelation berechnet und mit der Rangkorrelation verglichen.

Wenig starke Korrelationen

Zunächst habe ich mir die Korrelation der einzelnen Werte untereinander angesehen. Bei der Rangkorrelation liegt sie nie über +0,44 (Individualismus und Männlichkeit) oder unter -0,38 (Langfristorientierung und Nachsicht). Das ist gut, denn würden zwei Komponenten zu stark korrelieren, würden beide offenbar dasselbe messen. So gesehen ist es kein Wunder, dass die Korrelation nie besonders hoch ist, Hofstede hat das sicher überprüft.

Die hohe positive Korrelation zwischen Männlichkeit und Individualismus bedeutet, dass individualistischen Kulturen Erfolg im Beruf höher schätzen als kollektivistische. Die negative Korrelation zwischen Langfristorientierung und Nachsicht wiederum meint, dass langfristig orientierte Gesellschaften weniger nachsichtig gegenüber mangelnder Impulskontrolle sind.

Japanische Brüder im Geiste

Natürlich habe ich auch die Werte der einzelnen Länder korrelieren lassen. Allerdings sind die Ergebnisse in meinen Augen nicht sehr aussagekräftig.

Aussagekräftig ist in meinen Augen lediglich die hohe Korrelation der hier gemessenen Werte in Deutschland mit denen in Japan. Egal, wie viele Länder man dazu nimmt und ob man die Rangkorrelation berechnet oder die Produkt-Momentum-Korrelation nach Bravais-Pearson, die Korrelation mit Japan bleibt hoch. Sie liegt für die Rankkorrelation bei 0,92, wobei 1,00 ja bekanntlich das Maximum ist. Die einzige weitere starke Korrelation ist jene für das Vereinigte Königreich mit 0,58.

Bild Nagano
Japan hat sich, wie Deutschland, nach 1945 von einer Demokratie zum demokratischen Musterschüler entwickelt. Foto: Alexandre Gervais

Außer die Werte für Japan würde ich die Korrelationen aber nicht überbewerten. Interessant ist vielleicht noch jene mit Nigeria, hier beträgt sie -0,59, ist also klar negativ. Das heißt, wo Deutschland hohe Werte hat, hat Nigeria niedrige und umgekehrt.

Allerdings ergibt die Produkt-Momentum-Korrelation teilweise ganz andere Werte, nur für Japan bleibt sie dann stark. Die USA haben eine mittlere Rangkorrelation von 0,40, aber eine negative „normale“ Korrelation. Dann gibt es die zweitstärkste Korrelation plötzlich mit Taiwan, noch vor Großbritannien und Nordirland.

Daher würde ich sagen, war die Betrachtung eine nette Spielerei, zu viel Aussagekraft würde ich ihr nicht zubilligen. Außer eben, dass Deutsche und Japaner nicht nur geschichtliche Erfahrungen teilen, sondern auch viele Einstellungen.

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