Agenda 2010? Da war doch was!

Als Gerhard Schröder sich von der Politik der ruhigen Hand verabschiedete und den Umbau des Sozialstaats vorantrieb, da gab er den Reformen den Namen „Agenda 2010“. Nun ist das Jahr 2010 vorbei und im April veröffentlichte die Bundesagentur für Arbeit erstmals endgültige Daten zur Entwicklung der Zahl der Grundsicherungsempfänger bis Dezember 2010. Weil die Sozialleistungen nämlich auch rückwirkend gewährt werden können, gibt es eine Wartezeit von drei Monaten. Mittlerweile liegen sogar schon Daten für den Januar vor (und vorläufige bis April), doch das Thema ist in den Medien erstaunlich wenig präsent. Das schreit geradezu nach eine paar Beiträgen im Statistiker-Blog.

Das von Seiten der Politik so wenig zu hören ist, mag auch an der bescheidenen Bilanz liegen. Die Zahl der Hilfebedürftigen hat sich nicht so gut wie erhofft entwickelt. Allerdings auch nicht so schlecht, wie es Sozialverbände vermutlich darstellen würden. Denn die Interpretation der Daten ist mitunter schwierig

Rund 6,47 Millionen Menschen bezogen Ende 2010 Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, davon waren 4,75 prinzipiell erwerbsfähig. Prinzipiell erwerbsfähig heißt, dass sie mindestens 15 Jahre alt und nicht dauerhaft aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung arbeitsunfähig sind. Sie können aber durchaus noch zur Schule gehen oder in Elternzeit sein.

Die Zahl der Grundsicherungsempfänger bleibt hoch. Hellgrau: Erwerbsfähige, Dunkelgrau: nicht Erwerbsfähige (v.a. Kinder). Quelle: Bundesagentur für Arbeit

Damit lag die Zahl der Hilfebedürftigen im Dezember 2010 höher als im Januar 2005. Die Interpretation ist allerdings sehr schwierig. Denn nicht alle Berechtigten haben sich gleich zum 1. Januar 2005 gemeldet. Bis Mitte 2006 gab es einen deutliche Anstieg der Hilfebedürftigen, der nicht alleine die reale Entwicklung der Bedürftigkeit widerspiegelt, sondern auch eine Folge von „Nachzüglern“ ist. Alleine im ersten Jahr stieg die Zahl der Hilfebedürftigen um 17,7 Prozent. Welcher Anteil sich davon auf zunehmende Armut und welcher auf das Meldeverhalten zurückzuführen lässt, dürfte schwer bis gar nicht zu ermitteln sein. Immerhin nahmen noch in den 1980er Jahren rund 50 Prozent der Sozialhilfeberechtigten die Leistung nicht in Anspruch.

Den Höchststand erreichte die Zahl der Hilfebedürftigen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Mai 2006. 7,44 Millionen Menschen bezogen damals Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, 21,6 Prozent mehr als beim Start. Streng genommen müsste man sagen, lebten in Bedarfsgemeinschaften, in denen mindestens eine Person eine dieser Leistungen erhält. Denn die Statistik zählt auch Menschen mit, die selbst gar kein Geld bekommen. Das sind vor allem Kinder, die neben Kindergeld noch Geld vom leiblichen Vater bekommen und somit nicht bedürftig sind, während die Mütter – oder Väter – Arbeitslosengeld II beziehen. Seltener sind es auch Jugendliche, die Arbeit haben, aber noch bei ihren bedürftigen Eltern leben.

Bis Ende 2010 sank die Zahl der „Hartzer“ wieder um 13,0 Prozent. Allerdings entwickelte sich die Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (eHb) mit -14,2 Prozent günstiger als die der nicht erwerbsfähigen Hilfebedürftige (nef), also vor allem der Kinder, die nur um 9,9 Prozent sank. Und das, obwohl zwischenzeitlich der Kinderzuschlag eingeführt wurde. Damit liegt die Zahl der Hilfebedürftigen auf dem niedrigsten Wert seit März 2005, aber eben immer noch über dem von Januar und Februar 2005.

Bild: Bundesagentur für Arbeit

Seit dem Höchststand im Mai 2006 ging es im Vorjahresvergleich fast stetig bergab. Nur von Oktober 2009 bis Juni 2010 lagen die Zahlen höher als im Vorjahr. Die Wirtschaftskrise hatte zwar da ihren Höhepunkt schon überschritten, doch weil viele Arbeitslose zunächst ein bis zwei Jahre Arbeitslosengeld bezogen, schlug sich die Krise zeitversetzt in der Zahl der Hilfebedürftigen nieder.

Bis April liegen aktuell hochgerechnete Daten vor. Demnach lebten im April rund 6,51 Millionen Menschen in Bedarfsgemeinschaften. Das sind wieder etwas mehr als im Dezember. Das ist jedoch noch nicht weiter beunruhigend, am Anfang des Jahres steigt diese Zahl immer. Immerhin lebten im April 5,3 Prozent weniger Menschen in Bedarfsgemeinschaften als ein Jahr zuvor. Im Mai sollten die Zahlen aber spätestens auch im Vergleich zum Vormonat wieder sinken.

Zum Weiterlesen:

Statistiken der Bundesagentur für Arbeit. Einen Überblick bieten die SGB II – Berichte auf Länder- und Bundesebene sowie die Kreisreporte SGB II.

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