Einwohnerstatistiken sind nicht unbedingt ein heißes Thema. Lokalzeitungen berichten ständig darüber, welche Städte in ihrem Verbreitungsgebiet gewachsen und welche geschrumpft sind. Immer wieder spannend sind auch Schwellenwerte, wenn beispielsweise endlich eine runde Zahl erreicht wurde, beispielsweise die 40.000-Grenze bei einer Mittelstadt.

Die besondere Entwicklung von Dresden und Leipzig

Allerdings ist die Entwicklung von Einwohnerzahlen auch ein Spiegel wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen. Deutlich sieht man das an ostdeutschen Städten wie Leipzig und Dresden, die durch die Teilung viele Einwohner verloren, in der DDR dann wieder etwas wuchsen, nach 1990 noch einmal deutlcih Einwohner verloren haben und seit 2000 wieder gewachsen sind.

Entwicklung der Einwohnerzahl von Dresden (dunkelgrau) und Leipzig (hellgrau) zwischen 1939 und 2023.

Beide Städte haben von 1939 bis zum Jahr 2000 in mehreren Wellen Einwohner verloren. Beide litten zunächst unter dem Krieg und der Flucht von Menschen in den Westen, Dresden aber wegen der Bombardierung stärker als Leipzig. Dafür verlor Leipzig in den Folgejahren mehr Einwohner, während Dresden 1980 sogar wieder mehr Einwohner hatte als 1950. Auch nach der Wiedervereinigung verloren beide Städte zunächst Einwohner, obwohl beide in dieser Zeit Nachbargemeinden eingemeindeten.

Seit 2000 konnten Sie den Trend aber drehen und deutlich Einwohner hinzugewinnen, auch ohne Eingemeindungen. Dresden wuchs zunächst stärker und war 2020 sogar etwas größer als Leipzig, doch seitdem hat die nordsächsische Konkurrentin deutlich zugelegt. Beide Städte sind nach wie vor deutlich kleiner als vor dem Krieg, Leipzig auch als 1950, doch der Zuwachs seit 2000 ist beeindruckend.

Betrachtet man Leipzig (hellgrau) und Dresden (dunkelgrau) anhand ihrer Platzierung unter den deutschen Städten (nur Gebiet der heutigen Bundesrepublik) zeigt sich, dass der Einwohnerrückgang bis 2000 auch stärker war als in anderen Städten und die Erhohlung seit 2000 höher. Jedenfalls wurde Leipzig von der dreizehntgrößten Stadt im Jahr 2000 zur aktuell achtgrößten, Dresden von der fünfzehntgrößten zur zwölftgrößten. Als Vergleich ist hier Hannover (blau) abgebildet, dass seine Position etwas konstanter halten konnte, seit 2000 aber hinter die Sachsen zurückfällt.

Auch Berlin hat eine vergleichbare Entwicklung genommen und ist heute deutlich kleiner als noch 1939. Aber die ist gut bekannt und wird deshalb hier übersprungen.

Boomstadt Bielefeld

Kaum zu glauben, aber betrachten wir mal die erste Liga der Großstädte, also die größten 18, dann finden wir dort auch Bielefeld. Also jene Stadt, die es vor allem dadurch zu Bekanntheit gebracht hat, dass es sie entweder gar nicht geben soll oder aber sie die ödeste Stadt der Welt sei.

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Bielefeld gehört nicht mittlerweile nicht nur zu den Top18, es hat seine Bevölkerungszahl seit 1939 auch um mehr als 160 Prozent gesteigert. Ein Blick auf die Einwohnerentwicklung legt aber schon den Verdacht nahe, dass die Ostwestfalen hier irgendwie geschummelt haben. Zwischen 1970 und 1980 verdoppelte sich die Einwohnerzahl von Bielefeld fast.

Wer dazu etwas recherchiert findet heraus, dass damals der größte Teil des Landkreises Bielefeld zur Stadt eingemeidet wurde. Gadderbaum etwa, Sitz der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel und heute schon fast ein zentraler Stadtteil, war bis 1972 eine eigene Gemeinde. Nur wenige Gemeinden, etwa Schloß Holte-Stukenbrock, blieben selbständig, wobei diese Stadt erst kurz zuvor überhaupt zum Landkreis Bielefeld kam.

Tatsächlich ist die Einwohnerdichte Bielefelds mit 1.281 Menschen pro Quadratkilometer nur rund halb so hoch wie in ähnlich großen Städten. Das etwas kleiner Bonn kommt auf 2.281 Einwohner, Bochum auf 2.451.

Die Absteiger

Außer den ostdeutschen Städten Berlin, Leipzig und Dresden haben nur zwei Städte unter den größten 18 weniger Einwohner als 1939. Es sind mit Leipzig zusammen auch die einzigen, die kleiner sind als noch 1950. Es sind Wuppertal und Essen. Im Vergleich zu 1960 kommen noch Düsseldorf, Stuttgart, Bochum und Duisburg hinzu. Also vor allem Städte in Nordrhein-Westfalen.

Das Stuttgart in der Liste steht verwundert vielleicht viele, ist aber leicht zu erklären. Die Stadt hat seit 1945 keine umliegenden Gemeinden eingemeindet und kann auch auf dem bestehenden Stadtgebiet kaum noch wachsen. Die Einwohnerdichte liegt bei fast 3.000 pro Quadratkilometer. Auch wenn die Nachrichten über Wohnungsnot und – enge einen anderen Eindruck erwecken, wohnen wir heute auf viel mehr Fläche und viel bequemer als in der Vergangenheit. Städte wachsen deshalb fast nur über die Erschließung neuer Baugebiete oder eben Eingemeindungen, Stuttgart hat beides nicht gemacht.

Einwohnerzahl von Essen (schwarz), Düsseldorf (hellgrau) und Duisburg (dunkelgrau) von 1939 bis 2023.

Besonders stark ist die Einwohnerzahl der Stahlstadt Essen zurückgagangen. Von 1950 bis 1980 war Essen die fünftgrößte Stadt Deutschlands, doch seit 1960 hat die Stadt mehr als ein Fünftel ihrer Bevölkerung verloren und ist auf Platz elf abgerutscht.

Viele Bewegung im oberen Mittelfeld

Bei den vier größten Städten Deutschlands gibt es wenig Veränderung. Das stark bombardierte Köln rutschte 1950 kurz auf den fünften Platz hinter Leipzig, war aber abgesehen davon immer die viertgrößte Stadt Deutschlands, bei den ersten dreien hat sich gar nichts getan.

Auf den folgenden Plätzen gibt es aber etwas Bewegung. Besonders auffällig ist Leipzig, aber das haben wir ja schon erwähnt. Aber auch Bremen verdient einen genaueren Blick. Obwohl chronisch schlecht regiert und sind die Einwohnerzahlen stabil, von 1939 bis 1960 sind sie sogar massiv angewachsen, von rund 354.000 Einwohnern 1939 auf mehr als 600.000 im Jahr 1969 (die Stadt lag aber nur kurz über der Marke).

Platzierung ausgewählter Städte auf der Rangliste der größten deutschen Städte. Dargestellt sind (nach Größe 2023) Frankfurt am Main, Stuttgart, Leipzig, Bremen und Essen.

Auch bei Bremen gab es zunächst eine Eingemeindung. Dann profitierte die Stadt davon, dass sie unter der Kontrolle der US-Amerikaner stand. Eigentlich war Nordwestdeutschland britische Besatzungszone, doch weil es im Süden keine Seehäfen gibt, erhielten die USA noch Bremen. Deshalb wurde der Hafen ausgebaut und die USA investierten mehr und früher als die Briten.

Bremen baute außerdem sehr großzügig günstige Wohnungen, womöglich ein Grund dafür, dass so viele Menschen dort arbeitslos sind und die Stadt trotzdem kaum schrumpft.

Fazit

Die Einwohnerstatistik spiegelt verschiedene Entwicklungen in Deutschland. Beispielsweise unterschiedliche Ansätze bei der Eingemeindung. Stuttgart, Berlin und Hamburg führten nach 1945 keine Eingemeindungen durch. München gemeindete nur sehr kleine Gebiete ein und einen Teil der Stadt 1952 wieder aus (dabei wären hier Eingemeindungen wirklich sinnvoll gewesen). Dagegen wurde in Bielefeld fast der gesamte Landkreis zur Stadt eingemeindet.

Die Zahlen zeugen aber auch vom Ab- und Wiederaufstieg Leipzigs und Dresdens, vom Sonderfall Bremen und vom Einwohnerverlust des Ruhrgebiets und Düsseldorfs.

In der Öffentlichkeit wird es meist als negativ gesehen, wenn einzelne Regionen ab- und andere Aufsteigen. Hier wird dann über Einwohnerverlust, dort über Wohnungsmangel geklagt. Vielleicht erlaut Telearbeit es in Zukunft, dass die Menschen dort wohnen können, wo es ausreichend Wohnraum gibt. Vielleicht ziehen die meisten aber auch dann dorthin, wo es schön ist. Deshalb wird es wohl weiter Verschiebungen geben, die nicht immer bekämpft, sondern manchmal auch gemanagt werden müssen.

By Wolf

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