Kommt er oder kommt er nicht, der Fachkräftemangel?

„Es gibt keinen Fachkräftemangel“, sagt das DIW in seinem Wochenbericht (pdf). Zumindest noch nicht. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (iw Köln), das eine viel beachtete Studie zum Thema Fachkräftemangel vorgelegt hat, habe gepfuscht. Spiegel Online spricht auch gleich von der „Mär vom Fachkräftemangel“. Das kritisierte Institut der Deutschen Wirtschaft schlägt zurück und bezeichnet den DIW-Bericht als „fehlerhafte Analyse“. Wieder einmal liegen die beiden Institute im Clinch.

Ein Kritikpunkt des DIW ist die Schätzung des Verhältnisses von Arbeitsangebot zu Arbeitsnachfrage durch die Kölner. Die Berechnung sei fehlerhaft. Weil nicht alle Stellen den Agenturen für Arbeit gemeldet werden, schätzt das Institut der Deutschen Wirtschaft die Arbeitsnachfrage. Dabei wird durch eine Umfrage erhoben, welcher Prozentsatz der Stellen den Agenturen für Arbeit gemeldet wird und mit diesem Faktor wird die Anzahl der bei den Agenturen für Arbeit gemeldeten Stellen hochgerechnet. Das DIW weist zu Recht auf zwei Schwachpunkte dieser Methode hin.

Der eine ist die Tatsache, dass das iw Köln zwar die Stellen hochrechnet, nicht aber die Arbeitslosen. Zu den registrierten Arbeitslosen nach § 16 SGB III kommen noch die Arbeitssuchenden in Weiterbildungsmaßnahmen, Ein-Euro-Jobber und so weiter. Im Oktober 2010 gab es neben 2,95 Millionen Arbeitslosen nach den Kriterien des § 16 SGB III noch mal rund 870.000 Personen, die man landläufig ebenfalls als arbeitslos bezeichnen würde. Hinzu kommen die klassische Stille Reserve. Zu guter letzt sind da noch die Fachkräfte, die aktuell berufsfremd eingesetzt werden.

Zum zweiten erinnert das DIW daran, dass ein Teil der offenen Stellen nur auf Betriebswechsel zurückzuführen ist. Ein Unternehmen hat eine Stelle ausgeschrieben, ein Arbeitnehmer eines anderen Betriebes bewirbt sich darauf und kündigt bei seinem Arbeitgeber, der wiederum eine Stelle ausschreibt. So werden in einem Monat zwei offene Stellen gezählt, obwohl nur ein Arbeitsplatz tatsächlich neu zu besetzen ist.

Andere Argumentationen des DIW sind dagegen sehr wackelig. Beispielsweise behauptet man dort, im Wintersemester 2008/2009 hätten 21.000 Maschinenbauingenieure an deutschen Hochschulen ihren Abschluss gemacht. Die Zahl ist allerdings falsch. Sie bezieht sich auf Sommer- und Wintersemester. Außerdem stellt man dieser Studentenzahl die Zahl der Ingenieure in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gegenüber und übersieht nicht nur Beamte und Selbständige, sondern auch Ingenieure die als Geschäftsführer oder Unternehmensberater arbeiten. Denn die Beschäftigtenstatistik fragt nicht nach der formellen Ausbildung, sondern nach der Tätigkeit. Ein Ingenieur im Sinne der Beschäftigtenstatistik kann also auch ein Facharbeiter sein, der die Aufgaben eines Ingenieurs übernimmt. Häufiger dürfte es aber vorkommen, dass Absolventen ingenieurswissenschaftlicher Fächer in anderen Berufen arbeiten.

Übersehen wurden auch regionale Unterschiede. Es mag ja sein, dass es bundesweit rein rechnerisch genug Fachkräfte gibt. Aber selbst unter den SGB II – Empfängern sind nur rund 30 Prozent „auf jeden Fall“ oder „eher“ bereit, einen Wohnortwechsel in Kauf zu nehmen. Unter den Arbeitslosengeldempfängern dürften es noch weniger sein. Und so kann es durchaus sein, dass es bundesweit zwar genug Bewerber gibt, in einzelnen Regionen jedoch Fachkräftemangel herrscht.

Sehr gewagt ist auch die These, dass der geringe Lohnzuwachs bei Fachkräften den Fachkräftemangel widerlege. Gehälter werden meist in Tarifverträgen festgelegt. Die Gewerkschaften versuchen aber, vor allem untere Lohngruppen anzuheben. Einem deutlichen Lohnplus für Ingenieure bei stagnierenden Gehältern für Hilfsarbeiter hätten sie kaum zugestimmt. Einige Ökonomen stellen deshalb die umgekehrte These auf: Es gibt nicht zu wenig Fachkräfte, deren Löhne sind nur zu schwach gesteigen.

Schade, dass man sich beim DIW nicht mehr Mühe gegeben hat. Denn in der aktuellen Diskussion um den Facharbeitermangel gibt es tatsächlich eine Reihe spannender Fragen (siehe auch Kommentar).

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3 Comments on “Kommt er oder kommt er nicht, der Fachkräftemangel?

  1. Hallo Jenny, prinzipiell erwarte auch ich keine Vollbeschäftigung aufgrund des demographischen Wandels, wie im ergänzenden Kommentar zu diesem Beitrag dargestellt. Der technische Fortschritt ist für mich aber kein Argument, der zerstört nämlich keineswegs automatisch Arbeitsplätze.

  2. es wird nie ein Fachkräftemangel kommen. Die Automatisierung verhindert das, da gibt es auch seriöse Studien, die von weiteren Rückgängen in der Produktion ausgehen. Genauso unseriös ist das Gejammer über demographischen Wandel. Es sind doch derzeit 43 Mio, also mehr als je zuvor, beschäftigt, wieso so viele schlechte Arbeitsverhältnisse, wenn es einen Mangel gäbe? Wieso so viele Hartzer?

  3. ich beziehe mich bei der Fachkräftemangeldiskussionen vor allem auf die eigene berufliche Erfahrung UND auf die Engpassanalse der ARGE — letztere kann man auch so lesen, dass in grob überschlagen 90% aller Berufe absolute Fachkräfteüberschüsse vorliegen — in den wenigen Mangelberufen wie Lokführer hätte man einfach mehr ausbilden können.

    zu meiner eigenen Erfahrung: bei meinem AG redet man viel über Fachkräftemangel, demographischen Wandel, Alterung.

    nun sieht die Realität aber so aus, dass es sich um einen eingebildeten Mangel handelt:

    auf Stellenausschreibungen bewerben sich mehr als genug Interessenten
    Alte gehen in Ruhestand, aber wg. Schuldenbremse etc. werden auch die Aufgaben abgebaut, verdichtet etc.
    Personen wie ich, die sich nebenberuflich weiterbilden, erhalten NUll Chance auf Aufstieg, andere Stelle, oder Ersatz der Ruheständler. Ich selbst zähle also nicht als Fachkraft mit, sondern als irgendwas anderes.
    Dann soll man die Stelleneinsparvorgaben einhalten, also Personal abbauen.
    Wenn eingestellt wird bei uns, dann meistens nur noch Akademiker, andere Berufe fallen weg — weil man die breiter einsetzen kann.

    in einem Echten Fachkräftemangel nimmt man auch Quereinsteiger, Ältere, schult selber um, bildet selber aus. All das passiert in vielen Branchen aber nicht. Auch gibts für bereits vorhandene keine Aufstiegschancen, was auch ein schlechtes Zeichen ist (keine Personalentwicklung).

    ich vergleich hier immer mit dem Nachbarländern Norwegen und Dänemark, wo Bekannte leben:

    dort läuft es ganz anders. Für viele Berufe werden auch Quereinsteiger akzeptiert, die Löhne steigen noch, Ältere werden auch eingestellt, Weiterbildung ist eher möglich und wird dann auch honoriert, der Ö.Sektor ist großer Arbeitgeber, v.a. für Frauen.

    alles in allem seh ich in DE in den meisten Berufen keinen Fachkräftemangel. Deutlich kritisiere ich das Ausbildungswesen in DE, da es zu wenig Weiterentwicklungsmöglichkeiten bietet, erst langwierig Schulabschlüsse nachgeholt werden müssen etc.

    DE muss mehr in Umschulungen investieren, die Weiterbildungsmittel der ARGE wurden lt. Böcklerinstitut abgesenkt. Aus einem einmal erlernten Beruf kommt man in DE kaum wieder raus. Anderswo geht das viel besser. Wer in DE kein Abitur hat, hat es schwer aus einem einmal erlernten Beruf wieder rauszukommen, weil man immer abhängig ist von einem Betrieb

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