Beim Thema Sex lügen fast alle

Heute geht’s also um Sex. Kein Angst, ich habe nicht vor den einschlägigen Seiten zum Thema Konkurrenz zu machen. Im Mittelpunkt soll eine andere Frage stehen, nämlich: Kann man Statistiken aus diesem Bereich trauen?

Das Thema Sexualität ist noch immer tabu behaftet. Manchmal hat man sogar den Eindruck, als ob eine neue Welle der Prüderie auf uns zukommt. Werbung soll nicht mehr mit Sex arbeiten und das Verbot von Prostitution und sogar Pornographie wird ebenfalls wieder diskutiert. Wobei laut Christoph Drössers Datensammlung „Wie wir Deutschen ticken“ rund 80 Prozent Prostitution und 79 Prozent Pornographie in Ordnung finden, solange die Beteiligten das freiwillig tun.

Wie zuverlässig sind Daten aus Daten aus diesem Themenbereich? Das ist schwer zu sagen, aber einige Statistiken legen nahe, dass man Umfrageergebnissen auf diesem Gebiet besonders wenig vertrauen darf. Gelogen wird natürlich bei allen Umfragen, doch rund um den Koitus scheint die Ehrlichkeit besonders auf der Strecke zu bleiben.

Da rede ich noch gar nicht von schlechten Statistiken wie der des Kondomherstellers Durex, die oft als Beleg dafür angeführt wird, dass heutige Jugendliche immer früher Sex haben. Tatsächlich liegt das Durchschnittsalter beim „ersten Mal für“ 18 bis unter 25-Jährige bei nur 16,5 Jahren, selbst die 25 bis unter 35-Jährigen waren mit 17,5 Jahren ein Jahr älter.

Statistik: Mit wie vielen Jahren hatten Sie erstmals Geschlechtsverkehr? | Statista
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Leider ist die Betrachtung relativ unsinnig. Denn die Angaben beziehen sich nur auf die Befragten, die überhaupt schon einmal Sex hatten. Der Altersdurchschnitt bei den 25 bis unter 35-Jährigen wird also von jenen nach oben gezogen, die erst mit 34 das Glück hatten.

Besser hat es das Schweizer Bundesamt für Statistik gemacht. Hier lautete die Frage: „War ihr erstes Mal vor dem 16. Lebensjahr?“ Bei der Antwort zeigt sich kein Unterschied zwischen 16 bis 19 und 20 bis 24-Jährigen, wohl aber ein deutlicher zu den Altersgruppen ab 40.

Auffällig ist allerdings, dass in allen Altersgruppen deutlich mehr Männer als Frauen vor dem 16. Lebensjahr Sex hatten. Besonders groß ist der Unterschied bei den über 60 bis 64-Jährigen, wo 10,8 Prozent der Männer, aber nur 2,1 Prozent der Frauen vor 16 schon sexuell aktiv waren.

Nun gehören zum Sex im Regelfall zwei Personen – und meistens ein Mann und eine Frau. Dass der deutliche Unterschied zwischen den Geschlechtern an homosexuellen Erfahrungen der Männer liegt, darf man ausschließen. Natürlich könnten die Männer Sex mit älteren Frauen gehabt haben, aber traditionell ist die Konstellation meist umgekehrt, nämlich dass der Mann etwas älter ist als die Frau. Möglich auch, dass die 2,1 Prozent vor 16 sexuell aktiver Frauen einfach sehr aktiv waren und vielen Männern zum ersten Mal verhalfen.

Wahrscheinlicher ist aber eine andere Interpretation: Beide Geschlechter haben gelogen. Die Frauen, weil es in diesen Generationen für sie noch als sehr unschicklich galt, unverheiratet und gar mit 13, 14 oder 15 Sex zu haben. Die Männer dagegen, weil von ihnen sexuelle Aktivität verlangt wird. Man könnte sagen, ein sexuell aktiver Mann war ein toller Hengst, eine sexuell aktive Frau eine Schlampe – oder umgekehrt: eine enthaltsame Frau ist sittsam, ein enthaltsamer Mann ein Versager.

Statistik: Anteil der Jugendlichen in der Schweiz, die schon einmal Geschlechtsverkehr hatten, nach Alter und Geschlecht im Jahr 2012 | Statista
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Etwas weniger deutlich findet sich der Unterschied allerdings auch in aktuellen Statistiken. Rund doppelt so viele 16-jährige Männer haben angeblich bereits Sex gehabt wie Frauen. Nur bei den 24-Jährigen geben mehr Frauen als Männer an, bereits Sex gehabt zu haben. Die 24-jährigen Männer hatten sogar öfter noch niemals Sex als die 23-Jährigen Männer. Der Unterschied ist allerdings so gering, dass er vermutlich Zufall ist. Womöglich aber auch ein Zeichen des Erwachsenwerdens: Die Antworten werden ehrlicher.

Auch ein anderer Vergleich zeigt, dass Menschen offenbar nicht gerne über Sex reden – und wenn, dann nicht ehrlich. Diese Erfahrung musste schon die berühmte Anthropologin Margaret Mead machen. Ihr Werk „Coming of Age in Samoa“ galt als sensationell, da es den angeblich völlig ungezwungenen Umgang mit der Sexualität bei jungen Menschen in der Südsee zum Thema hatte. Allerdings kam der ihr neuseeländischer Kollege Derek Freeman wenige Jahre später zu einem ganz anderen Ergebnis. Kaum jemand hatte Lust, mit der fremden Frau über das Sexualverhalten seiner Kinder zu diskutieren. Deshalb, so Derek Freeman, bekam Mead eben das erzählt, was sie hören wollte.

Ein Problem, dass es bei allen Befragungen gibt, besonders aber bei solchen zu Tabu-Themen. Noch weniger ehrlich wären die Antworten vermutlich bei der Frage: „Hinterziehen sie Steuern“ oder „Schlagen Sie Ihre Frau/Ihren Mann regelmäßig?“

Sex wie oft
Wie oft haben Sie pro Monat Sex? Antworten für Männer (rot) und Frauen (grau) in Prozent. Quelle: Christoph Drösser, „Wie ticken die Deutschen“, Seite 143

Beim Thema Sexualität kann man sich dem Problem aber schön nähern, weil es nach wie vor unterschiedliche Erwartungen an Männer und Frauen gibt, auch wenn die Differenz nicht mehr so groß ist wie einst. Auch im bereits zitierten Buch von Christoph Drösser gibt es eine passende Statistik. Dort wurden Deutsche befragt, wie oft sie im Monat Sex haben. 23 Prozent der Frauen, aber nur 18 Prozent der Männer gaben an niemals Sex zu haben. Nun, das ist noch nicht erstaunlich. Vielleicht haben dafür mehr Frauen häufig Sex. Aber am anderen Ende dominieren die Männer. Vier Prozent der Männer wollen angeblich mehr als 20 Mal im Monat Sex haben, also an zwei von drei Tagen.

Das Ergebnis deckt sich mit dem anderer Untersuchungen, Männer haben angeblich deutlich häufiger Sex als Frauen. Allerdings haben 21 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen die Frage gar nicht beantwortet. Womöglich haben vor allem Männer ohne und Frauen mit viel Geschlechtsverkehr nicht geantwortet. Das ändert aber nichts am Befund: die gesellschaftliche Erwartung beeinflusst das Antwortverhalten.

Christoph Drösser hat übrigens auch gefragt, wie oft Menschen gerne Sex hätten. Immerhin 15 Prozent der Männer und fünf Prozent der Frauen wollen das mehr als 20 Mal pro Monat, acht Prozent der Frauen und drei Prozent der Männer gar nicht. Interessant wäre hier der Vergleich zwischen Realität und Wunsch auf individueller Ebene.

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