Daten zum Terror

Entsinnt sich noch jemand an „Dieses obskure Objekt der Begierde“, Luis Buñuels letzten Film aus dem Jahr 1977? Die Hauptpersonen bewegen sich durch eine Welt, in der ständig Autos und Läden in die Luft fliegen und Schießereien mit Terroristen an der Tagesordnung sind. Diese Anschläge linksradikaler Gruppen sind so normal, dass sie von den Protagonisten des Films  gar nicht wahrgenommen werden – außer als sie am Ende des Films durch eine Bombenexplosion in einer Einkaufsstraße getötet werden.

Wer in die Nachrichten blickt, der bekommt den Eindruck, dass Buñuels Vision fast Wirklichkeit geworden ist, nur dass es nicht links-, sondern rechtsextreme Terroristen sind, die hinter den Anschlägen stecken, allen voran islamistische. In Manchester töteten sie zuletzt zahlreiche Kinder und Jugendliche, eine Taktik die Islamisten im Ausland schon mehrfach angewandt haben. Wenig später kam es in London zu zwei weiteren Attentaten, eines von Islamisten und ein zweites von einem britischen Rechtsextremisten, das sich gegen Muslime richtete. Tatsächlich zeigen die Daten eine weltweite Zunahme des Terrors.

Auch Deutschland bleibt nicht verschont. Zwölf Menschen starben auf einem Berliner Weihnachtsmarkt, im April wurde eine afghanische Mutter vor den Augen ihrer Kinder bestialisch ermordet, nach Meinung ihrer Schwester weil sie vom Islam zum Christentum konvertiert war.

Tatsächlich gibt es mit der Global Terrorism Database der University of Maryland eine sehr umfangreiche Quelle. Ich möchte im heutigen Beitrag diesen Fragen nachgehen:

  1. Was misst die Global Terrorism Database?
  2. Wie gut sind die Daten?
  3. Was sagt uns das über die Entwicklung des Terrorismus?
  4. Wie sieht die Situation in Westeuropa aus?

Natürlich liegt es dabei nahe, das Thema aufzuspalten, wie ich das auch bei der Demokratie getan habe. Heute werde ich mich zunächst mit der Qualität der Daten befassen, übernächste Woche dann mit der Entwicklung des Terrorismus.

Was ist Terrorismus?

Terrorismus ist kein neues Phänomen. Aus der Bibel kennt man die Zeloten, denen ursprünglich auch einer der Jünger Jesus, nämlich Simon der Eiferer, angehörte. Oft wird diese Gruppe eher mit einer Guerillaarmee verglichen, die Sikarier ermordeten aber auch ganz gezielt einzelne politische Gegner oder Kollaborateure. Noch bekannter dürften die Assassinen sein, eine radikalislamische Sekte, die schon vor rund 1.000 Jahren durch Selbstmordattentate auf sich aufmerksam machte. Aber was unterscheidet Terror von anderen Formen der Gewalt?

Vom Brockhaus wird Terrorismus als „politisch motivierte Gewaltanwendung“ beschrieben, die aufgrund fehlender Erfolgschancen im offenen Kampf mit „meist grausamen direkten Aktionen“ die Hilflosigkeit des Staatsapparates bloßstellen will. Man könnte auch sagen, im Mittelpunkt steht das Verbreiten von Angst und nicht der militärische Erfolg, wobei beim islamistischen Terror immer mehr auch das physische Auslöschen des Gegners im Zentrum steht, was die Grenzen zum Genozid fließend macht. Letzterer gehört nicht in die Kategorie Terrorismus.

Kongo Wald
In der Demokratischen Republik Kongo (ehemals Zaire) kommen bei bürgerkriegsähnlichen Gefechten immer wieder Menschen ums Leben. Als Terrorismus zählt das aber nicht. Foto: Irene2005

Auch der Staatsterror ist nach dieser Definition kein Terrorismus, ebenso wenig der Krieg. Das bringt natürlich Schwierigkeiten mit sich. Todesopfer im Irak zählen als Terroropfer, die im Vietnamkrieg getöteten mehreren Millionen Menschen nicht. Auch die Opfer von Genoziden wie in Ruanda werden üblicherweise nicht als Terroropfer gezählt.

Besonders schwierig ist aber die Grenze zum Bürgerkrieg. Der Überfall auf eine Militärstation im Bürgerkrieg wäre beispielsweise nach den üblichen Definitionen kein Terrorismus.

Die Datenquelle

So handhabt das auch die Global Terrorism Database der University of Maryland. An der Universität werden seit 1970 alle terroristischen Ereignisse gesammelt und erfasst, egal in welchem Land und ob mit oder ohne Todesopfer.

Die Daten lassen sich als Excel-Datei herunterladen, die Tabelle hat mehr als 150.000 Zeilen und über 100 Spalten. Erfasst wird fast jedes bekannte Detail, beispielsweise der genaue Ort mit Region, Staat, ggf. Bundesland, Stadt beziehungsweise Gemeinde und sogar mit den Koordinaten. Natürlich dürfen auch Angaben zur Waffe, der Art des Attentats (Bombenanschlag, gezielte Ermordung, Zerstörung von Infrastruktur…) zu den Attentätern und den Opfern nicht fehlen. Dabei gibt es ein Freitextfeld zur Beschreibung von Attentat und Opfer, aber auch eine Kategorisierung des Ziels, beispielsweise Airport & Aircrafts, Government oder Business. Auf diese targettyp1_txt genannte Variable folgt, wie bei vielen Spalten, eine Nummer, mit der die Textvariable codiert wurde. Government (general) ist beispielsweise mit 2 codiert, Government (Diplomatic) mit der 7. Es folgen Untertypen, beispielsweise bei Business Retail/Bakery/Grocery und schließlich ein Freitext, in dem dann etwa steht „Father owend Bakery“. Manchmal steht dort sogar ein Name. Es gibt natürlich auch noch einen targettyp2 und 3 sowie einen attacktyp 2. Diese Felder werden nicht immer gefüllt, sondern nur wenn eine Zuordnung nicht eindeutig möglich ist oder später noch eine genauere Beschreibung eingeführt wurde. Beispielsweise kann der targettyp1 „Clinic“ lauten und der targettyp2 Abortion related, also im Zusammenhang mit Abtreibung stehend. In den meisten Fällen wird aber nur eine Variable verwendet.

Amis haben keine Ahnung von Geographie
Das erste Attentat in der Liste fand in der Dominikanischen Republik statt. Auch die DDR taucht ganz vorne auf. Das liegt aber nur an den fehlenden Geographiekenntnissen der Datenerfasser.

Nicht alle Attentate enden tödlich. In einer Spalte wird die Zahl der Todesopfer erfasst, in der zweiten die darunter befindlichen US-Amerikaner und in einer dritten die Zahl der getöteten Terroristen. Das gleiche wird noch für die Verwundeten wiederholt.

Wie gut sind die Daten?

Die Daten sind also sehr detailliert, aber wie vollständig sind sie? Die Datenerfasser stützen sich auf eine ganze Reihe von Quellen und nennen diese auch immer, wobei meist auf ein anderes Projekt der University of Maryland (UMD) verwiesen wird, beispielsweise das UMD Encyclopedia of World Terrorism 2012. Die Primärquelle bleibt damit leider oft im Dunkeln.

Natürlich stellt sich die Frage, ob die Universität wirklich von jedem Anschlag erfährt, vor allem wenn er sich in einer Autokratie zuträgt. Das aber wäre wichtig um eine Vergleichbarkeit der Daten zu Gewährleisten. Schließlich gibt es im Vergleich zur Situation in den 1970er Jahren, als die Datenerfassung begann, deutlich weniger Diktaturen.

Wohnen
Nicht alles östlich der DDR-Grenze war auch DDR. Suhl, hier im Bild gehörte unzweifelhaft zur Deutschen Demokratischen Republik. Berlin dagegen gab es zweimal, einmal als West- und einmal als Ostberlin. Und Westberlin gehörte eben nicht zu DDR. Foto: Felix O.

Leider scheinen die Daten an mancher Stelle zwar sehr detailliert, aber oberflächlich gepflegt zu sein. Ganz oben, also als eines der ersten Attentate in der Liste, taucht auch ein Anschlag in der DDR auf. Ein Anschlag der Kommune 1 auf einen Juristenball im Palais am Funkturm in Ost-Berlin. Getötet wurde glücklicherweise niemand – anders als 1974, als in Berlin, DDR, der Richter Guenler [sic!] von Drenkmann ermordet wurde.

Das stutzt man. Schließlich wurde 1974 in West-Berlin, BRD, auch der Jurist Günter von Drenkmann ermordet. Er war einer der wenigen erfolgreichen Juristen in der Zeit des Dritten Reiches, der die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten verweigerte. Daher durfte er zunächst nicht Richter werden. Ermordet haben ihn allerdings nicht Neonazis, sondern Linksextremisten.

terrorismusopfer
Gedenktafel für den Richter Günter von Drenkmann. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen verweigerte er den Eintritt in die NSDAP und durfte daher zunächst nicht Richter werden. In der Bundesrepublik stieg er bis zum Präsidenten des Kammergerichts auf, wurde aber bei einem fehlgeschlagenen Entführungsversuch von Linksterroristen getötet.

Es fällt auf, dass Westberlin (in der Tabelle nur mit „Berlin“ bezeichnet)  vor 1990 überwiegend der DDR zugeordnet wird. Damit aber nicht genug. Auch dort wo explizit East-Berlin draufsteht, ist nicht immer Ost-Berlin drin. Der Palais am Funkturm ist nämlich in Westberlin gelegen.

Die meisten Anschläge mit Todesopfer in der DDR sind auf den ersten Blick als falsch zugeordnet zu erkennen. Einziger Fall in der Datei, der tatsächlich korrekt der DDR zugeordnet wurde, ist die Ermordung des Libyers Mohammad Ashour 1984. Allerdings gehört auch dieser Fall womöglich gar nicht in die Liste, denn die Täter waren möglicherweise Handlanger des libyschen Geheimdienstes.

Besonders peinlich für die Datenerfasser ist aber, dass man den kompletten Datensatz für das Jahr 1993 verloren hat. Bis heute erhält sie keine Informationen für das Jahr. Wie erwähnt enthält sie auch noch keine Informationen über 2016.

Hinzu kommt, dass die Zuordnung nicht immer leicht ist. Was ist mit dem oben beschriebenen Fall der ermordeten Afghanin? Zunächst einmal ist es unklar, ob die Datensammler in den USA den Fall überhaupt mitbekommen haben. Die meisten Zeitungen berichteten sehr zurückhaltend über den Fall und das mögliche Motiv Christenhass. Hinzu kommt, dass der Täter bereits mehrfach in psychiatrischer Behandlung war. Möglicherweise war es weniger die Tat eines berechnenden Terroristen als eines psychisch Kranken. Die Grenzen sind fließend.

Fazit

An einigen Stellen haben die Mitarbeiter des Projekts leider schlampig gearbeitet. Trotzdem ist die Global Terrorism Database eine der besten Quellen zu dem Thema. Wir werden im kommenden Beitrag sehen, dass einige Entwicklungen so deutlich sind, dass auch die falsche Zuordnung von einzelnen Fällen keine Auswirkungen hat. Was die Daten uns sagen, werde ich in zwei Wochen vorstellen. Eine deutliche Zunahme des Terrorismus weltweit kann ich aber jetzt schon ankündigen.

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