Schrumpft sie oder schrumpft sie nicht, die Mittelschicht?

„Die Mittelschicht schrumpft!“ Sagt zumindest das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. „Gar nicht wahr“, sagt das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Ja, was denn nun?

Einig sind sich beide Institute immerhin, dass in den ersten Jahren des Jahrtausends die soziale Ungleichheit deutlich zugenommen hat. Uneinig sind sich die Forscher dagegen bei der Bewertung der Situation ab 2005. Dabei verwenden beide die gleichen Daten, nämlich die des Sozioökonomischen Panels. Und bei nährem Hinsehen sind beide auch gar nicht so weit auseinander.

Der Anteil der Personen, deren Einkommen weniger als 70 Prozent des Medianeinkommens beträgt, stieg von 2004 bis 2009 deutlich von 19 auf fast 22 Prozent, sagen die DIW-Forscher. Die Mittelschicht wurde von 2004 bis 2008 nur leicht kleiner und 2009 sogar wieder größer, sagt das Institut der Deutschen Wirtschaft. Und beide haben recht. Denn bis 2008 war die untere Einkommensschicht von 19 auf rund 20 Prozent angestiegen. 2009 stieg er deutlich an, dafür wurde aber auch die obere Einkommensgruppe kleiner.

Nur in der Interpretation sind sich beide wieder uneinig. Das DIW sieht in der von 2004 bis 2008 kleiner gewordenen Mittelschicht einen Trend, das Institut der Deutschen Wirtschaft dagegen eine normale Schwankung. Schließlich bewege sich der Anteil der unteren Einkommensschicht seit 1993 immer um 20 Prozent herum, der Zunahme seit dem Tiefpunkt im Jahr 2000 ging ein Schrumpfen dieser Schicht seit 1993 voraus. Das Schrumpfen der Mittelschicht bestreiten das Insitut der Deutschen Wirtschaft aber nicht wirklich. In Köln sieht man es aber eher im gesellschaftlichen als im wirtschaftlichen Wandel begründet, nämlich in der Zunahme typischer Niedrigeinkommensgruppen wie Alleinerziehender und Migranten.

Einigkeit herrscht auch darüber, dass die Polarisierung der Einkommen von 2006 bis 2008 – trotz sinkender Mittelschicht – zurückgegangen ist. Das messen die Berliner mit Hilfe des Polarisierungsindex von Esteban und Ray. Beim DIW sieht man darin allerdings keine Trendumkehr, sondern eine Folge der gesunkenen Arbeitslosigkeit und warnt vor einem steigenden Sockel an Niedrigeinkommensbeziehern. In wirtschaftlich schwachen Zeiten steigt die Einkommenspolarisierung, bei steigender Beschäftigung geht sie aber nicht im gleichen Maße zurück. Das war bereits in den 1990er Jahre zu beobachten, als die Polarisierung stark zunahm, dann von ihrem Höhepunkt 1995 wieder sank um später noch weit höher zu steigen.

Das DIW verweist außerdem darauf, dass von 2001 bis 2008 das Einkommen der unteren Einkommensgruppe nicht nur relativ, sondern auch absolut von 690,- auf 645,- Euro sank. 2009 stieg es zwar wieder auf 672,- Euro an, die Betrachtung des DIW hat jedoch einen Hacken. Rutschen Menschen aus der Mittelschicht ab und sinken knapp unterhalb der Schwelle zur Mittelschicht, steigt das Durchschnittseinkommen der unteren Einkommensschicht. Deswegen geht es denen, die bereits vorher zur unteren Einkommensgruppe gehörten dadurch keineswegs besser. Das gilt allerdings auch umgekehrt, so dass sich die Frage stellt wie sinnvoll diese Betrachtung überhaupt ist und ob man das Durchschnittseinkommen nicht in prozentual gleich großen Gruppen hätte messen sollen. Beispielsweise in dem man die Entwicklung des Einkommens der unteren zehn Prozent betrachtet.

Als Fazit kann man also festhalten: Beide Institute sind sich einig, dass die Mittelschicht seit 2000 kleiner geworden und die Einkommensungleichheit vor allem in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends stark angestiegen ist. Die Polarisierung erreichte – gemessen am Polarisierungsindex von Esteban und Ray – 2006 ihren Höhepunkt und ging dann wieder zurück. Einig sind sich beide auch, dass immer mehr Menschen von Abstiegsängsten geplagt werden und die unteren Einkommensgruppen sich kaum Hoffnung auf einen sozialen Aufstieg machen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft fordert daher verstärkte Bildungsanstrengungen, das DIW eine stärkere Beteiligung der Reichen am Sparpaket.

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